Rabu, 29 Mei 2019

Flugscham: Deutsche Wirtschaft bleiben Flugreisen treu - WELT

Spätestens als Clara Mayer an das Pult in der Veranstaltungshalle CityCube auf dem Berliner Messegelände tritt, wird VW-Chef Herbert Diess klar, dass es ungemütlich wird auf seiner Hauptversammlung. Und dann drischt die 18-jährige „Fridays for Future“-Aktivistin mit Worten auf ihn ein. „Was Sie hier tun, ist nicht genug“, sagt sie. Und: „Denken Sie daran, wer den Preis dafür bezahlen wird, wenn Sie so weitermachen wie bisher.“ Längst haben die Umweltaktivisten die städtischen Plätze und Straßen verlassen und tragen ihren Protest in die Unternehmen.

Zuvor war die 23-jährige Luisa Neubauer an der Reihe, als sie auf der Aktionärsversammlung von RWE vor der Klimakatastrophe warnte und Konzernchef Rolf Martin Schmitz die Leviten las. „Kein Konzern in ganz Europa trägt mehr Verantwortung für die Klimakrise als RWE“, sagte sie. „Wie können Sie das vor mir und meiner Generation verantworten?“ Den Chefs in Deutschland wird bewusst: Sie stehen unter verschärfter Beobachtung.

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Die Unternehmen drängen mit ihren Reiserichtlinien die Mitarbeiter immer häufiger zu Bahnfahrten. Sollten Flugreisen nicht zu vermeiden sein, versuchen Firmen den CO2-Ausstoß auszugleichen. So kompensiert die Lufthansa nach eigenen Angaben ab sofort alle dienstlichen Flugreisen mit Ausgleichszahlungen. Damit werden Klimaschutzprojekte finanziert, die Windkraftwerke und Solaranlagen unterstützen oder Wälder aufforsten.

Ziel dieser Zahlungen ist es, Treibhausgasemissionen zu vermeiden oder CO2 zu binden, eine Art Wiedergutmachung für klimaschädigendes Verhalten. Der Versicherungskonzern Allianz und die Deutsche Bank kompensieren nach eigenen Angaben alle Emissionen von Geschäftsreisen seit 2012. Auch die Deutsche Post und die Commerzbank nutzen dieses Instrument für die Reisetätigkeit ihrer Mitarbeiter.

BahnCard 100 statt Dienstwagen

Der Standard ist das in der deutschen Wirtschaft allerdings längst nicht. „Flugscham ist in der Geschäftswelt eher kein Thema“, sagt ein Sprecher des Recycling-Dienstleisters Remondis. Er verweist darauf, dass Standorte des Unternehmens in China und Australien sich mit dem Zug oder Auto schlichtweg nicht erreichen ließen. Ähnlich ist die Aussage beim Stahlkonzern Salzgitter: „Eine Flugscham gibt es nicht, denn es handelt sich bei unseren internationalen Geschäftstätigkeiten nicht um Lustreisen.“ Die Dienstreiserichtlinie sehe vor, dass Mitarbeiter stets das „wirtschaftlichste Verkehrsmittel“ wählen sollten, also vorrangig die Bahn.

Eine Umfrage von WELT bei Wirtschaftsunternehmen macht deutlich: Der Umstieg vom Flugzeug auf die Bahn fällt nur bei kurzen Stecken leicht. Im Buchungssystem der Deutschen Telekom können Mitarbeiter bestimmte innerdeutsche Flüge nicht mehr buchen, darunter die Strecke von Frankfurt nach München. Wer also bei der Telekom diese Strecke reisen will, muss das Auto oder den Zug nehmen. Grundsätzlich weist das Telekom-Buchungssystem bei jedem Flug die CO2-Belastung aus. „So sensibilisieren wir unsere Beschäftigten für das Thema Klimaschutz“, sagt ein Sprecher.

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Beim Modeversender Zalando sind Flugreisen auf Strecken von unter 400 Kilometern grundsätzlich nicht zulässig. Der Energieversorger Eon weist Mitarbeiter an, auf innerdeutschen Strecken der Bahn grundsätzlich Vorrang vor dem Flugzeug zu geben. Warum Passagiere von München nach Nürnberg fliegen müssen, eine Strecke von 170 Kilometer, ist sowieso kaum zu vermitteln. Mit Anreise zum Flughafen und Check-in dauert die Flugreise länger als die einstündige Bahnfahrt. Doch die Lufthansa bietet diese Verbindung trotzdem an.

Die meisten Reiserichtlinien der Unternehmen lesen sich aber eher wie Empfehlungen. Einige versuchen es mit Anreizen. So spendiert die Rewe Group ihren Mitarbeitern ab einer Fahrtdauer von zwei Stunden ein Erste-Klasse-Bahnticket. Das soll gemütlicher sein als die Strapaze eines Fluges. Wer Anspruch auf einen Dienstwagen hat, darf stattdessen auch die BahnCard 100 wählen.

Stellenstreichungen statt Flugscham

In Schweden steht das Thema längst auf der Tagesordnung. Immer häufiger fällt dort das Wort „Flygskam“ in den Debatten über den Klimawandel: Flugscham. Ein Gefühl, das angeblich auf Greta Thunberg zurückgeht. Die 16-Jährige hat die Schulstreiks „Fridays for Future“ initiiert – und führt der Welt vor, was sie damit meint. Statt in ein Flugzeug zu steigen, hat sie die Strecke von Stockholm zum Weltwirtschaftsforum nach Davos im Zug zurückgelegt, in 65 Stunden.

Der schwedische Biathlet Björn Ferry ließ sich vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen SVT nur unter einer Bedingung als Kommentator anheuern: keine Flugreisen. Und die Tageszeitung „Dagens Nyheter“ veröffentlichte einen Aufruf von 250 Mitarbeitern der Filmbranche, in dem sie forderten, Dreharbeiten im Ausland einzuschränken, um den Flugverkehr zu reduzieren. Zumindest die Zahl der Inlandsflüge in Schweden ging im vergangenen Jahr bereits zurück. Beobachter sind sich über die Gründe nicht einig, nennen aber Flygskam als mögliche Ursache.

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An diesem Punkt ist Deutschland noch lange nicht. Es gibt Absichtserklärungen, Pläne. Wie gut den Unternehmen die Flugvermeidung tatsächlich gelingt, ist unklar. Es gibt dazu keine vollständigen Statistiken. Was es gibt, sind vor allem einzelne Beispiele.

Die Deutsche Bank etwa hat nach eigenen Angaben die Zahl der Flugreisen in den vergangenen sechs Jahren halbiert. Die Commerzbank meldet für die vergangenen acht Jahre einen Rückgang um 30 Prozent. Beide haben in den vergangenen Jahren kräftig Stellen gestrichen, was wohl ein Teil der Erklärung ist. Die Commerzbank hat heute etwa 20 Prozent weniger Mitarbeiter als noch 2010.

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Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, Videokonferenzen abzuhalten. Letztlich lassen die Konzerne ihre Mitarbeiter aber doch fliegen – und kompensieren den CO2-Ausstoß zum Teil mit Ausgleichszahlungen. Das bestätigt BCD Travel Germany, nach eigenen Angaben deutscher Marktführer und weltweit einer der führenden Geschäftsreiseanbieter.

Geschäftsführer Holger Schmeding sieht bisher keinen Trend zur Vermeidung geschäftlicher Flugreisen. „Dienstreisen sind Muss-Reisen und keine Kann-Reisen“, sagt er. „Ab vier Stunden sehen die Reiserichtlinien unserer Unternehmenskunden häufig die Flugverbindung vor.“

C02-„Ablasshandel“ wird wenig genutzt

Die Unternehmen argumentieren auch damit, dass der Anteil der Geschäftsreisen an ihren gesamten CO2-Emissionen eher gering ist. Bei Zalando sind es nach eigenen Angaben fünf Prozent, bei Salzgitter nur etwa ein Prozent. Weltweit beträgt der Anteil der CO2-Emissionen der Luftfahrt am gesamten CO2-Ausstoß Experten zufolge zwischen zwei und drei Prozent. Aber die Tendenz steigt deutlich, und der CO2-Ausstoß pro Passagier und Kilometer liegt bei Flugreisen um ein Vielfaches über dem Ausstoß bei Bahnfahrten. Vor allem deshalb gilt Fliegen unter Aktivisten als Klimakiller, für den sich auch Unternehmen zunehmend rechtfertigen müssen.

Ob Flugscham am Ende dazu beiträgt, dass die Zahl der Flüge insgesamt zurückgeht, ist zweifelhaft. Zu verlockend erscheinen Angebote wie das von EasyJet, für 18,37 Euro von Köln nach Berlin zu fliegen. Oder für 9,99 Euro von Stuttgart nach Nizza, mit Ryanair. In Schweden ging der Flugverkehr zuletzt zurück, in Deutschland nicht. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) sagt nach dem Rekordjahr 2018 auch für das laufende Jahr Wachstum voraus.

Quelle: Infografik WELT

Trotz Protesten von Klimaschützern gegen das Flugzeug sind Privatpersonen und Unternehmen bisher kaum bereit, die Luftverschmutzung freiwillig auszugleichen. So bietet Lufthansa zwar die Möglichkeit, per Spende zum neutralen CO-Fliegen beizutragen. Über den Partner Myclimate wird dann anderswo in den Umweltschutz investiert, durch Ersatz von klimaschädlichen Energiequellen durch klimafreundliche.

Laut Lufthansa wurden für 2017 aber lediglich 16.900 Tonnen CO ausgeglichen und dabei gut 330.000 Euro freiwillig gespendet. Umgerechnet auf die 30,3 Millionen Tonnen CO, die bei Flügen 2017 in die Atmosphäre geblasen wurden, sind das verschwindend geringe 0,06 Prozent. Womöglich hat zwar mancher bei anderen CO-Kompensationsanbietern eingezahlt, aber dies dürfte auch kaum mehr ausmachen.

Mitarbeit: Carsten Dierig, Michael Gassmann, Ileana Grabitz, Gerhard Hegmann, Anne Kunz, Birger Nicolai, Daniel Wetzel

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https://www.welt.de/wirtschaft/article194015107/Flugscham-Deutsche-Wirtschaft-bleiben-Flugreisen-treu.html

2019-05-29 10:46:00Z
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