"The future is private", die Zukunft
ist privat, verkündete Mark Zuckerberg zur Eröffnung der
Facebook-Entwicklerkonferenz F8, und der Applaus war verhalten. Dieses
Publikum konnte er für sein neues Firmenmotto nicht begeistern. Facebooks CEO
musste den Programmierern und Programmiererinnen, die Apps für sein Ökosystem
aus Facebook, Messenger, WhatsApp und Instagram entwickeln, sogar sagen, dass
ihre Arbeit in Zukunft schwieriger werden könnte: "Wir haben in der
letzten Woche einige Änderungen in unser Entwicklerprogramm eingeführt, die den
Zugriff auf unsere Daten weiter begrenzen."
Es ist eine
Reaktion auf das bis dato schwierigste Jahr in der Geschichte des sozialen
Netzwerks. Ein Jahr, in dem Dritte mit
oder ohne Facebooks Wissen die persönlichen Informationen von Millionen Usern aus
dem sozialen Netzwerk gesaugt hatten. In dem Hunderte Millionen von Kundenpasswörtern
plötzlich unverschlüsselt
vorlagen und E-Mail-Kontakte
ausgelesen wurden. Ein Jahr, in dem auf beiden Seiten des Atlantiks die
Forderungen lauter wurden, man müsse Facebook regulieren, um
nicht zu sagen: zerschlagen.
All diese Verfehlungen
erwähnte Zuckerberg in seiner Keynote, wenn, dann nur zwischen den Zeilen. "Ich
weiß, dass wir – gelinde gesagt – nicht den besten Ruf haben, was den Schutz
der Privatsphäre angeht", sagte er mit einem nervösen Lachen, "aber
ich bin entschlossen, das richtig zu machen und ein neues Kapitel für unsere
Produkte aufzuschlagen." In diesem Fall möchte er sogar mit dem
Silicon-Valley-Prinzip brechen, Neuerungen einfach auszuprobieren und Probleme anzugehen,
wenn sie im laufenden Betrieb auftauchen. "Wir nehmen uns mindestens ein
Jahr, um uns mit Experten, Strafverfolgern und Regierungen weltweit zu beraten,
wie wir in einem verschlüsselten System die richtigen Sicherheitssysteme einbauen."
Die Kommunikation soll mehr in privaten Gruppen stattfinden
Eine konkrete Neuerung in puncto Datenschutz: Facebook führt, wie schon vor drei Jahren im Schwesterdienst WhatsApp, in seinem Messenger die sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als Standard ein. Bisher war sie nur eine Option, die man explizit auswählen musste. Bei dieser Art der Verschlüsselung können nur der Sender und der Empfänger den Inhalt einer Nachricht lesen – kein Hacker, kein abhörender Geheimdienst, aber auch nicht der Betreiber des Dienstes. Somit kann Facebook die Inhalte auch nicht nutzen, um die individuellen Profile seiner Nutzer, die es an Werbetreibende vermietet, mit Daten anzufüttern.
Diese verschlüsselten Privatnachrichten sind aber nur ein Element bei der Umorientierung vom Öffentlichen aufs Private. "Zusätzlich zum digitalen öffentlichen Platz brauchen wir auch ein digitales Äquivalent zum Wohnzimmer", sagte Zuckerberg. Anstelle des Newsfeeds will er den Facebook-Gruppen, in denen sich Menschen abseits der Öffentlichkeit austauschen, eine größere Sichtbarkeit verschaffen. In den Werbevideos von Facebook sind das Freundeskreise und Familien, Hobbyangler und Fans von veganem Käse, die dort über ihr Spezialthema chatten. Das klingt immer flauschig, gemütlich und heimelig. Aber das digitale Wohnzimmer kann natürlich auch das muffige Hinterzimmer sein, in dem sich fragwürdige politische Grüppchen zusammenrotten.
Auf Schritt und Tritt sollen den Facebook-Nutzerinnen in Zukunft solche Gruppen angeboten werden, natürlich auch in der Hoffnung, dass sie viel Zeit in ihnen verbringen und sich entsprechend viel Werbung anschauen. Selbst das Design der Website soll erstmals seit fünf Jahren wieder verändert werden. "Es ist noch nicht mal blau", scherzte Zuckerberg, als wären die Probleme damit verschwunden.
Auf die Kritik an Facebooks Geschäftsmodell, die im letzten Jahr immer lauter geworden ist, ging Zuckerberg nicht ein. Es beschert der Firma weiterhin zuverlässige Gewinne. In den ersten drei Monaten dieses Jahres stiegen die Anzeigenerlöse gegenüber dem Vorjahr um etwa ein Viertel auf 15 Milliarden Dollar – da fällt es der Firma leicht, vorsorglich drei bis fünf Milliarden für eventuelle Strafzahlungen an die US-Regierung zurückzulegen. Solche Strafen wegen der Veruntreuung von Daten seien "ein Klaps auf die Hand", kommentierte die New York Times in der vergangenen Woche. Noch an dem Tag, an dem Facebook die Existenz dieser Portokasse bekannt gab, stieg der Börsenwert der Firma um 40 Milliarden Dollar.
Will Facebook "das Internet fressen"?
Zuckerberg betonte mehrfach, dass es bei seiner Privatsphärenoffensive um mehr gehe als um ein paar neue Features. "Das wird die Art verändern, wie wir unsere Firma führen", sagte er. Nun können die Experten rätseln, was er damit meint. Etwa die Führungsstruktur von Facebook? Die ist zurzeit relativ klar: Zuckerberg hält genügend Anteile, um Entscheidungen allein zu treffen. Neben ihm hat nur noch die Geschäftsführerin Sheryl Sandberg wirklich etwas zu sagen. "Wenn man ein Organigramm von Facebook zeichnen wollte, dann sähe es so aus wie ein großer Laib Brot, aus dem eine riesige Antenne herausragt", schreibt der frühe Facebook-Investor und neuerdings Facebook-Kritiker Roger McNamee in seinem im Frühjahr erschienenen Buch Zucked. "Zuck und Sheryl sitzen auf der Spitze dieser Antenne. Alle anderen stecken in dem Brot."
Oder bezieht sich der Wandel, von dem Zuckerberg spricht, auf die Art des Geldverdienens? Sollten die Nutzer sich wirklich zunehmend von der Facebook-Plattform zu den Messaging-Diensten abwandern, muss die Firma nach neuen Ertragsquellen suchen. Werbung funktioniert in diesen Diensten bislang nicht – WhatsApp ist zwar weltweit populär, fährt aber keine nennenswerten Umsätze ein.
Der Branchenkenner John Battelle, Gründer des Digitalmagazins Wired, spekulierte im März darüber, was Zuckerberg mit seinem Schwenk zum Privaten im Schilde führen könnte. Seine Analyse: Facebook will "das Internet fressen". Das Ökosystem der Facebook-Apps soll zunehmend für die Menschen identisch mit dem Netz sein. Ein umzäunter Garten, den man nicht mehr verlassen muss und in dem man nicht nur kommuniziert, sondern zum Beispiel auch Geschäfte abwickelt, einschließlich der Bezahlung. Das Vorbild sieht Battelle in dem chinesischen Tencent-Konzern, der seine Plattform WeChat in einen "Ertragsgeysir" umgebaut habe, bei dem die Werbung nur eine untergeordnete Rolle spielt. WeChat steht freilich unter der Aufsicht des chinesischen Überwachungsstaats, der damit seine Bürger auf Schritt und Tritt verfolgt und ihr Verhalten bewertet. Strebt Facebook vielleicht eine datengeschützte Version dieses Netzes im Netz an?
Messenger, WhatsApp und Instgram sollen untereinander kommunizieren
Mark Zuckerberg formulierte in seiner Keynote gestern sechs Prinzipien, die seinem neuen Facebook zugrunde liegen sollten. Neben Privatheit, Verschlüsselung und Datenschutz taucht dort auch der Begriff "Interoperabilität" auf. Damit ist gemeint, dass die unterschiedlichen Apps in Zukunft besser miteinander zusammenwirken sollten. Dass die User des Imperiums über drei Nachrichten-Apps kommunizieren können (Messenger, WhatsApp und Instagram Direct), hat historische Gründe, zwei von ihnen stammen von zugekauften Firmen. In Zukunft soll es möglich sein, zwischen den Diensten Nachrichten hin und her zu schicken – ein erster Schritt in Richtung auf eine Fusion zu einem Supermessenger, den die amerikanische Kartellbehörde gewiss aufmerksam beobachten wird.
Wenn Mark Zuckerberg von seinen Zukunftsplänen erzählt, dann wirkt er immer noch wie der unbedarfte Collegestudent, der 2004 einfach mal etwas ausprobiert hat. Man weiß nicht, ob man ihm die Naivität abnehmen soll oder ob hinter den eher diffusen Ausführungen nicht doch ein teuflischer Masterplan steckt. In einem Interview mit der Washington Post am Vorabend der F8-Konferenz hat er auf fünf bohrende Fragen mit "weiß nicht" geantwortet. Aber er ist zuversichtlich, dass alles gut wird.
Mark Zuckerberg hat die Welt zum wiederholten Mal gebeten, ihm nun endlich zu glauben, dass er aus seinen Fehlern gelernt hat. Doch das Bekenntnis zur Privatsphäre ist zunächst eben nur ein Bekenntnis. Die etwa 5.000 Entwicklerinnen und Entwickler im Saal in San José haben ihm am Ende doch noch zugejubelt – als er bekannt gab, dass jeder von ihnen eine der neuen Datenbrillen Oculus Quest (Stückpreis: 449 Euro) geschenkt bekommt.
https://www.zeit.de/digital/internet/2019-05/facebook-f8-entwicklerkonferenz-zuckerberg-privatsphaere
2019-05-01 08:28:49Z
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